Zwischenruf aus dem Großväterland

Als ich, Markus, vor ca. sechs Wochen zum ersten Mal erwähnte, in Erwägung zu ziehen, eine Graphic Novel aus den Berichten noch lebender Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs zu machen, war die Resonanz riesig und das von Euch ausgegebene Feedback eindeutig: Bitte machen! Wir machen mit.

War Großväterland zu dem Zeitpunkt noch eine fixe Idee, nahm das Projekt innerhalb von wenigen Tagen durch Eure Postings, Kommentare, tolle Gespräche und zahlreiche Mails eine schwindelerregende Dynamik an, die mir Mut machte, so ein schwieriges Thema anzugehen und mir Eurer Unterstützung Gewiss zu sein.

Darf man das?

Natürlich war mir auch ein wenig mulmig zumute. Denn die Geschichten deutscher Kriegsteilnehmern und dessen, was diese erleiden mussten zu erzählen, war aufgrund der historisch bekannten Hintergründe immer noch eine Sache, bei der man sich die Frage gefallen lassen muss, ob man da nicht etwas in den Fokus rückt, das ausgeblendet bleiben sollte. Ob man da nicht die Aufmerksamkeit auf etwas lenkt, das keinerlei Aufmerksamkeit, sondern nur Missachtung verdient.

Um es kurz zu machen: Nach intensiver Auseinandersetzung mit dieser Frage und mit den ersten Geschichten von Zeitzeugen ist meine persönliche Erkenntnis die, das es genau andersherum ist.

Hier meine Gedanken zu einigen wesentlichen Aspekten:

Die Vervollständigung des Wahnsinn eines Krieges

Erst durch das zusätzliche Hervorholen auch der Schrecken, die unsere Großväter und Großmütter durchleben mussten, wird aus dem Gesamtkomplex „Zweiter Weltkrieg“ eine Geschichte, deren Grauen man sich aus heutiger Sicht nicht vorstellen kann. Und dennoch wird es durch die Unmittelbarkeit der Augenzeugenberichte Wirklichkeit. Wenn ich eines gelernt habe in den vergangenen Wochen, dann, dass es mir in mancher Hinsicht nicht mehr nur um die Frage geht, wer welchen Anteil an dieser Barbarei hat, sondern wie der Mensch als Wesen dazu in der Lage ist, so etwas zu ertragen und vor allem so etwas anderen Menschen zuzufügen. Und dabei kreisten meine Gedanken nur um den eigentlichen Krieg – der Holocaust fügt dem noch eine weitere Dimension hinzu.

Der Krieg und der Holocaust

Was nämlich unbedingt wichtig ist: Ich möchte nicht sagen „erstmals“, aber doch in einer Brutalität, die mir bis dahin nicht bekannt war, eröffnete sich mir, durch die losgelöste Betrachtung des Krieges als Krieg, auch der Holocaust in einem anderen, noch dunklerem Licht. Erst wenn man den Zweiten Weltkrieg auf den Krieg als militärische Konfrontation reduziert und damit in weiten Teilen von der Vernichtungspolitik der Nazis loslöst, wird einem bewusst, wie in jeder Hinsicht unmenschlich die Pläne der Deutschen Staatsführung zur Auslöschung des Jüdischen und aller anderen von ihnen auserkorenen Menschengruppen waren. Das ist in manchen Momenten schwer auszuhalten.

Das wir uns dennoch darauf beschränken, in Großväterland nur die Geschichten deutscher Zeitzeugen zu verarbeiten liegt daran, dass wir gar nicht in der Lage wären, ein umfassendes Bild abzuliefern. Wir möchten mit Großväterland gerne einen Baustein zur Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg beisteuern, von dem wir glauben, dass er noch fehlt oder nur bruchstückhaft vorliegt. Oder wie jemand in einem Kommentar zu diesem Artikel – ich habe den auch auf meinem persönlichen Blog veröffentlicht – sagt:

Ich hatte damit aber von Anfang an kein Problem, bzw. fand das nicht problematisch. Du bist nicht die UNO. Du bist ein Bielefelder Illustrator. Dass man die Menschen befragt, die jetzt noch leben halte ich gerade angesichsts des 100 Jahrestages des Ersten Weltkrieges für eine untadelige Aufgabe.

Die Beschränkung ist also keine Ausblendung anderer Themen, sondern der Fokus auf ein Einzelnes.

„WW2“ als Summe der Erlebnisse

Als ich begann, mich mit Großväterland zu beschäftigen, war „der Krieg“ für mich ein geschichtliches Ereignis, gelehrt in der Schule und in Guido Knopp-Dokus, bestehend aus schwarzweiß gefilmten Ereignissen, wie dem Überfall auf Polen, dem Feldzug gegen Russland oder der Invasion in der Normandie. Durch das Eintauchen in Literatur und Dokumentation wurden dann daraus zuerst kleinere Ereignisse, wie einzelne Kämpfe um Städte und Dörfer oder Schlachten, die einen Anfang und ein Ende haben. Schließlich und letztlich ergaben sich – bei weiterer Detailarbeit – dann aus diesen die kurzen Erlebnisse einzelner Menschen.

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Auch das war eine wichtige Erfahrung für mich: Zu erkennen, dass der Krieg eben genau das ist: Die Summe aus Millionen einzelner Geschichten und Erlebnissen, durchlebt, oft durchlitten von einzelnen Menschen, die alle ihre eigene Sicht auf die Dinge haben, weil sie die nur aus der ihren beurteilen können.

Übrigens: Einwände, Einwürfe, ja Vorwürfe Einzelner, die unser Projekt mit dem „Landser“ verglichen haben, halte ich schlicht für unbedacht und verantwortungslos. Der „Landser“ ist Storytelling in der Kategorie „Arztroman“ aus der Bahnhofsbuchhandlung. Billiges Schmierentheater und Soap-Opera für Geschichtsverdreher und Kriegs-Nostalgiker. Großväterland hingegen hat einen aufklärerischen Anspruch. So eine oberflächliche Argumentation wischt jede Auseinandersetzung mit den Geschichten der deutschen Menschen im Zweiten Weltkrieg mit einem Handstreich weg. Wenn wir Angst haben, den Schrecken durch das bildliche Darstellen in einer Graphic Novel und das persönliche Erzählen zu vermenschlichen und dadurch eventuell das Leid des einen in Relation zu dem des anderen setzen, werden wir am Ende beiden nicht gerecht. Erst die Summe aller Geschichten und deren Horror ergeben ein Gesamtbild dieser für die Menschheit so finsteren Zeit, die wir hier stellvertretend „Großväterland“ nennen.

Als ich das letztlich für mich erkannt hatte, wie wichtig es deshalb ist, diese Geschichten aufzuschreiben oder „auf Band“ aufzunehmen solange wir und vor allem die Zeitzeugen und Augenzeuginnen noch die Gelegenheit haben und einige wenige beispielhafte in grafische Kurzgeschichten zu transformieren, war mir klar, dass Großväterland vielleicht für mich dieses eine wichtige Projekt sein kann, das jeder einmal in seinem Leben machen möchte.

Hilf‘ bitte mit, dieses wichtige Projekt Realität werden zu lassen …

Ich wäre deshalb sehr glücklich und dankbar, wenn auch Du durch deine Teilnahme am Crowdfunding helfen würdest, Großväterland Wirklichkeit werden zu lassen. Denn wenn das Interesse auch jetzt noch so groß ist, wie es war, als ich das Projekt angekündigt habe und es so bleibt, bin ich mir sicher, dass die Graphic Novel „Großväterland“ nur ein Anfang sein wird.

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